Eine schöne Seite meiner beruflichen Tätigkeit sind die Praxisbesuche in den Kindergärten, die ich fachlich begleite. Oft besuche ich die Einrichtungen und beobachte, wie die Pädagog*innen mit den Kindern arbeiten und wie sie ihre Prozesse gestalten. Diese Beobachtungen nutzen wir, um eben jene Prozesse zu reflektieren und weiterzuentwickeln.
Und oft passiert es an diesen Tagen, dass die Kinder auch mit mir in Beziehung treten. Viele von ihnen kennen mich schon, weil ich einige Einrichtungen sehr häufig besuche. So auch Konrad. Ein sehr aufgeweckter kleiner Kerl, der schon als Kleinkind sehr neugierig auf die Welt und die Menschen zugegangen ist. Als ich ihn vor einigen Monaten das letzte Mal sah, war er etwa 2½ Jahre alt und gerade vom Kleinkindbereich in den sog. Kindergarten-Bereich seiner Einrichtung gewechselt . Konrad begegnete mir im Garten, auf einem Kindergarten-Dreirad sitzend und begann ein Gespräch mit mir. Zunächst haben wir uns über dies und das unterhalten, über sein Dreirad und mit wem er gerade spielte. Dann aber begann Konrad mir zu erzählen, was es heute zum Mittagessen geben würde – und hier fehlt mir nun die 3. Dimension im Blog: das Hören. Ich hoffe, es gelingt mir trotzdem, Sie in diese wunderbare Situation eintauchen zu lassen.
Konrad hat mit seinen 2½ Jahren sehr große Freude am Sprechen. Aber sein junges Alter bringt es mit sich, dass er noch nicht alle Laute klar artikulieren kann. Das „s“ kommt z. B. noch mit dem für dieses Alter sehr typischem Lispeln daher. Da ich Konrad nicht täglich um mich habe, hatte ich also zu tun, mich in seine Sprache einzuhören.
Das Mittagessen ist eine große Leidenschaft von Konrad. Deshalb ist es für ihn sehr wichtig, genau zu wissen, welches Gericht der Speiseplan bereit hält und sich dessen immer wieder rückzuversichern. Da er so mitteilungsfreudig und ein so leidenschaftlicher Esser ist, erzählte er mir, was es heute geben würde: „Klööösßze, Rotkraut, Gooolasßz“. Die Klöße (hier in Thüringen eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel) und das Rotkrat hatte ich sofort verstanden, aber „Gooolasßz“ erschloß sich mir nicht. Also fragte ich nach, was es außer dem Rotkraut und den Klößen noch geben würde. Konrad wiederholte eifrig und immer mit festem Blickkontakt zu mir: „Klööösßze, Rotkraut, Gooolasßz“. Ich verstand wieder nur die ersten beiden Wörter, das dritte blieb mir ein absolutes Rätsel. Und so schaute ich ihn auch an und sagte: „Konrad, ich habs noch nicht verstanden.“ Er wiederholte genauso eifrig und mit dem selben festen Blickkontakt: „Klööösßze, Rotkraut, Gooolasßz“. Das machten wir noch einige Male so, bis ich dann irgendwann seine Wörter wiederholte und dabei „Gooolasßz“ so aussprach, wie ich es von ihm verstanden hatte. Da schaute Konrad mich einigermaßen verständnislos an und ich sagte zu ihm: „Gell, das ist es nicht, was Du meinst?“ „Nein“ sagte er, schüttelte den Kopf und versuchte es gleich wieder „Klööösßze, Rotkraut, Gooolasßz“.
Zum Glück kam in diesem Moment eine Pädagogin des Kindergartens bei uns vorbei, ich angelte sie mir und erzählte ihr von unserem Verständnisproblem. Sie freute sich und forderte Konrad auf, es noch einmal zu wiederholen, was er immer noch sehr freudig tat: „Klööösßze, Rotkraut, Gooolasßz“ Die Pädagogin überlegte kurz, was sie auf dem Speiseplan für diesen Tag gesehen hatte und sagte: „Gulasch! Heute gibt es Gulasch, stimmts Konrad?“ Er nickte. Und dann sagte ich: „Jetzt hab ich´s verstanden. Es gibt: Klöße, Rotkraut und Gulasch.“ Da strahlte Konrad mich ganz glücklich an und atmete ganz erleichtert auf.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht, warum ich Ihnen diese Geschichte hier in meinem Blog aufschreibe? Weil sie mir einmal mehr so sehr deutlich gemacht hat, wie wichtig echte Beziehungen in der Sprachentwicklung sind. Sprechen lernen geht nicht ohne echte und direkte Beziehungen zu echten Menschen! Die Kinder brauchen andere Menschen, die mit ihnen in Beziehung sind, die versuchen, sie zu verstehen und die ihnen Feedback darüber geben. Die, so wie ich mit Konrad immer wieder wiederholen, was sie verstehen und dem Kind damit die Möglichkeit geben, irgenwann die Worte durch permanentes Üben so zu formen, das sie auch so klingen, wie sie die Kinder zwar richtig verstehen, aber eben noch nicht ausdrücken können. So wie Konrad: er wusste genau wie „Gulasch“ klingen muss, war aber noch nicht in der Lage, dieses Wort exakt zu formen. Und er wusste genau, dass mein „Gooolasßz“ eben nicht sein „Gulasch“ war. Und es war so gut zu beobachten, wie wichtig es ihm war, dass man ihn versteht und zwar richtig. Das kann kein Fernseher, kein Laptop, kein Tablet, kein Smartphone und keine App und kein Lernprogramm. In diesen wichtigen Austausch können nur wir Menschen gehen!